AIKIDO-CAMP 1986

von Rija Rotering

Im Sommer dieses Jahres gab es das dritte internationale feministische Aikido Camp in Benais in Frankreich. Letztes Jahr hat eine Gruppe von 25 Frauen aus 5 europäischen Ländern Aikido trainiert und für eine Woche zusammengelebt. 1986 wurden wegen des großen Interesses und wegen unseres Bedürfnisses das Frauenaikido zu fördern zwei Wochen organisiert. Die Organisation machten fünf Frauen aus Hamburg. Dies bedeutet eine lange Zeit der Vorbereitung, viele Diskussionen, viele Beratungen, nach Trainerinnen suchen und Frauen motivieren.

 

Beide Wochen fanden in L’Enfumé statt, ein paar Häuser außerhalb von Benais in einer berühmten Weinregion. Um die Häuser herum gibt es viel Platz zum Zelten und zum Genießen der französischen Sonne, wundervoller Wolken, glitzernder Sternenhimmel, des Vollmondes und Lagerfeuer, um uns zu warm zu halten.

 

In der ersten Woche gab es viele Frauen, die noch nicht lange Aikido machen (weniger als ein Jahr), eine Gruppe, die seit 2 bis 3 Jahren dabei ist und eine einzige Frau mit 6 Jahren Trainingserfahrung. Eines der interessanten Dinge beim Aikido ist, dass immer Jede mit Jeder trainiert und in jedem Kontakt etwas lernen kann. Doch für die fortgeschrittenen Frauen gab es nicht genug Herausforderung, obwohl dies mit einem großen Akt im letzten Training ausgeglichen wurde.

 

Die Lehrerin Miwako Penopp ist eine Japanerin, die seit ca. 20 Jahren in Deutschland lebt und auch Aikido trainiert. Die Tatsache, dass sie aus Japan, dem Ursprung des Aikido kommt, brachte etwas Besonderes in ihr Training: sie hat ein wunderschönes tiefes Kiai und sie auf japanisch zählenzu hören klingt wie eine Glocke.

 

Miwakos Unterricht war sehr abwechslungsreich. Sie verwendete viele verschiedeneTechniken und Formen in ihrem Aufwärmtraining. Wir übtenviele Basisbewegungen. Das ist sehrwichtig, da im wöchentlichen Training oft nicht genug Zeit dafür bleibt. Sie war empfänglich für die Bedürfnisse der Gruppe und wir alle konnten am Training teilnehmen ohne uns zu verausgaben. Am Ende der Woche waren wir es doch, aber nur teilweise wegen des Trainings. Zusammenleben in einer Gruppe ist anstrengend und anregend.

 

Den Alltag organisierten wir selbst: Kochen, Putzen, Einkaufen, Essen, Waschen. Es gelang uns sehr gut, was viele von uns überraschte. Auch die Atmosphäre in der Gruppe war gut. Alle fühlten sich wohl und einige hatten sich noch nie so gut in einer Gruppe gefühlt. In solch einer Woche passieren eine Menge Dinge. Es ist berührend und herzstärkend zu sehen, wie Frauen zusammen leben, welche Freude wir haben, wie viel Kreativität es gibt und wie viel Aufmerksamkeit wir unseren individuellen Bedürfnissen widmen.

 

Der wichtigste Grund, warum wir uns treffen, ist Aikido, Frauenaikido, für viele von uns ihre große Liebe. Die meisten von uns haben keine Möglichkeit, im täglichen Leben mit Frauen zu trainieren. In Hamburg gibt es eine Frauengruppe und in Berlin ein Frauen Dojo und Paris hat seine Frauengruppe. Alle anderen trainieren ingemischten Dojos. So ist das Camp ein Ort, den wir wirklich brauchen und wir haben viel zu geben und bekommen viel voneinander. Unsere Erfahrungen in gemischten Dojos sind unterschiedlich: es scheint sehr wichtig zu sein, was für ein Mensch der Lehrer ist und ob er (es ist fast immer ein er) eine Betonung auf Harmonie beim Training legt oder nicht. Es ist faszinierend, mit Frauen aus verschiedenen Stilrichtungen zu trainieren.

 

Dies ist auch eine Woche, um Sprachen zu verbessern, vor allem Deutsch. Die Mehrheit in dieser Woche und auch die Lehrerin waren Deutsche. So redeten wir deutsch und es gab eine Übersetzung ins Französische pour les francaises. Und natürlich sprechen die Holländerinnen viele Sprachen.

 

Die sanitären Bedingungen in L’Enfumée sind einfach und begrenzt: einige der Frauen hatten damit Probleme. Aber die meisten von uns waren sehr zufrieden mit dem Ort und es gab genügend Duschen und Toiletten im Dojo.

 

Am Sonntag hatten wir den traditionellen Abschied mit Tränen und Lachen und wir wissen, dass wir einander wieder sehen werden. Denn, wenn das Campleben dich erst einmal kriegt, wirst du süchtig danach. Aber es ist die beste Sucht, ich mir vorstellen kann.

 

Die 2. Woche in Benais:

 

Eine neue Woche und zum Teil eine neue Gruppe: acht Frauen blieben aus der ersten Woche. Jetzt begann es wirklich: für mich war die zweite Woche viel interessanter, da hier eine Menge Frauen sein würden, die ich letztes Jahr schon getroffen hatte. Zusammen waren wir 22 Frauen. 12 von uns sind schon einmal hier gewesen, es ist also eine Art Wiedertreffen. Es war aufregend, die Frauen wieder zu sehen, sie zu halten, zu hören, wie es ihnen geht.

 

Die Abfahrt der ersten Gruppe und die Ankunft der nächsten waren am selben Tag. Ein bisschen zu viel. Wir hätten einen Tag Pause dazwischen gebraucht, weil die Abschiede so emotional waren und wir zusätzlich die Häuser putzen, eine neue Toilette graben mussten und anderes. Und das alles nach Nächten, die immer kürzer mit weniger Schlaf gerieten. Sonntagabend waren dann alle Frauen da.

 

Wir haben zusammen gegessen und hatten danach eine Kennlernrunde. Diese Zusammenkünfte brauchen wegen der Übersetzungen – jetzt sogar in zwei Sprachen - eine Menge Zeit. Am Ende entschieden wir uns, die Meetings so weit wie möglich zu begrenzen. Aber sie bleiben Gegenstand zahlreicher Witze. Natürlich sind sie notwendig, um das Leben in einer Gruppe zu organisieren.

 

Diese Gruppe war internationaler als die erste. Wir waren aber nur aus fünf Ländern und so war es eigentlich ein mitteleuropäisches Camp. Wir wollen versuchen, Frauen aus anderen Ländern zu erreichen.

 

Es gab Französinnen, Holländerinnen, Deutsche, Engländerinnen und Schweizerinnen. Von der Nationalität her hatten wir auch eine Frau aus Luxemburg und eine aus Indien. Das Alter lag zwischen 22 und 42. Wir treffen uns wegen unserer Liebe zum Aikido und unserer Liebe zu Frauen: die Kombination macht es perfekt.

 

Unsere Lehrerin war Ulli Serak aus Berlin, wo sie ihr eigenes Frauendojo hat. Sie ist gewöhnt Frauen zu unterrichten, jedoch noch nicht über einen so langenZeitraum. Die Trainerin zu sein und gleichzeitig zusammen mit der Gruppe zu leben heißt, ständig die Rolle zu wechseln. Dies erfordert eine Menge Führungsqualität. Ich denke, Ulli hat das sehr gut hinbekommen. Ich vertraute ihr als Lehrerin und sie war ein offener, beliebter Teil der Gruppe.

 

Die Mehrheit der Gruppe war lesbisch, einige bisexuell und ein paar wenige heterosexuell (voller Verwirrung bei dieser weiblichen, lesbischen Atmosphäre). Wie in der ersten Woche trainierten wir zweimal am Tag: morgens von 9 bis 11, am Nachmittag von 4 bis 6. Die Stunden dazwischen waren zum Entspannen, Essen, Schlafen, Kochen, Massagen geben, Kurse veranstalten, Briefe an die Liebsten zu Hause schreiben usw.

 

Aikido gibt Energie: alles bewegt sich in unendlichen Bewegungen. Jeden Tag war zu sehen, dass die Frauen nach einem Training viel besser, viel lebendiger aussahen. Am Ende der Woche hatten sich alle Gesichter geöffnet, erschienen jünger, es gab ein Licht in den Augen, Energie in den Körpern, so viel Wärme war zu geben und so viel erweckte Wünsche waren da. Wir sind zwar müde gewesen vom wenigen Schlaf, aber wir konnten immer weitermachen: wir waren jetzt auf einer anderen Ebene.

 

Viele von uns hatten Schlafprobleme wegen der Kälte in den Zelten, wegen des ständigen Fliessens der Energie: als ob unsere Körper nicht zur Ruhe kommen konnten. Am letzten Abend war soviel Verbindung mit der Gruppe da, dass wir es alle schwierig fanden, schlafen zu gehen. So schliefen wir wenig, wachten früh auf, um Abschied von den abfahrenden Frauen zu nehmen. Wir wollten nichts verpassen.

 

In der zweiten Woche war Trainingsniveau höher, es gab mehr fortgeschrittene Aikidoka. Dennoch gab es ein breites Spektrum an Erfahrungen: von der Anfängerin bis zur Frau, die schon 7 Jahre Aikido macht. Wenn du jung bist, Aikidoanfängerin und vielleicht auf dem ersten Camp, ist es nicht ganz einfach, deinenPlatz zu finden. Darauf sollten wir im nächsten Jahr etwa acht geben, vor allem, da einige von uns zum dritten Mal auf dem Camp sein werden. Und wir möchten wirklich für neue Frauen offen bleiben.

 

Wir trainierten sehr konzentriert, keine Energie wurde vergeudet. Ulli ist eine klare Lehrerin und es ist eine Freude, ihr bei der Arbeit zu zusehen.

 

Viele von uns sind Lehrerinnen: im Aikido, in Selbstverteidigung oder in anderen Arten von Körperarbeit. Sonutzten wir diese Kompetenzen, indem eine Frau der Gruppe die Erwärmung am Morgen oder am Nachmittag machte. Dies war oft überraschend.

 

Einer der faszinierendsten Aspekte des Frauenaikido ist, dass wir anderes Wissen, das wir haben, integrieren.

 

Das Camp in Benais ist eine wichtige Inspirationsquelle für das Frauenaikido: ein Ort, wo wir besser werden, Pläne machen, wie sich Frauenaikido ausbreiten kann und überlegen, wie wir etwas unseren gemischten Dojos verbessern können. Wir brauchen das, wir brauchen den Kontakt zu Frauen, die Aikido als einen wesentlichenTeil ihres Lebens ansehen. Und Frauen auf der Matte zu begegnen heißt, ihnen auf eine wesentliche Weise des Seins, der Bewegung, unendlicher Bewegungen, Kreise und Figuren zu begegnen.

 

In dieser Woche sprachen wir viel über kulturelle Unterschiede. Gibt es Unterschiede zwischen deutschen Frauen, holländischen und französischen Frauen: wenn ja, was sind die Unterschiede und was hat unsere Identität mit der Geschichte unseresLandes zu tun? Was können wir durch unsere Unterschiede voneinander lernen? Und was macht es mit deiner Persönlichkeit, wenn du nicht stolz auf deine Nationalität sein kannst?

 

Aikido bringt uns zusammen, aber das Camp ist auch ein Ort, wo wir mit Unterschieden konfrontiert werden und der Art, wie wir mit ihnen umgehen. Zusammen zu leben, miteinander zu reden lehrt uns, einander besser zu verstehen (obwohl wir andere auch mit Markierungen versehen).

 

Am letzten Abend machten wir eine Party. Jede Frau war aufgefordert, etwas darzubieten. Wir aßen zusammen am Feuer und danach hatten wir ein abendfüllendes Programm mit Akrobatik, aikidodance, witchdance, aikneedo, einer kritischen TV-Zeitschrift usw.

 

Es war ein großer Erfolg. Viele von uns sind bereits nach denFrauen Aikido Camps süchtig. Für sie organisieren wir ein extra Treffen zu Weihnachten in Holland. Und das vierte internationale Frauen Aikido Camp wird im nächsten Jahr im August wieder in Benais sein, von holländischen Frauen organisiert.

 

Aikidotreffen zu Weihnachten vom 22. bis 28. Dezember. Dies ist für diejenigen, die bereits in einem der Camps gewesen sind. Wenn Plätze übrig sind, laden wir andere ein, sich uns anzuschließen.

 

Mit Liebe, Rija Rotering

Holland